Integration
in Deutschland – Kampf, Glück und Trennen…
Man
redet in
der letzten Zeit viel über Integration, Fachkräftemangel, deutsche
Sprache,
Kultur und Religion der Nationen in Deutschland.
18.06.2015 ICH BIN DEUTSCHER!
29.12.2016 Die ganze Familie ist DEUTSCH!
09.03.2017 Familie
Bergmann
Als deutsche Staatsbürger, fanden wir es nur natürlich, mit der
Annahme
eines deutschen Namens - Bergmann unsere
Zugehörigkeit zu Land, Kultur und Sprache
zu
vervollständigen.
Der
Weg ist das Ziel...
Ich
komme
aus Bulgarien, bin dort geboren, habe meine Kindheit dort verbracht und
später Nachrichtentechnik
an der Universität in Sofia studiert. Nach meinem Studium in Bulgarien
war ich
1,5 Monate als Praktikant in Deutschland bei der Deutschen Telekom in
Weiden.
Ich war der erste Student, der nach der Perestroika im Ostblock an dem
Know-how-Programm
von Bulgarien Telekom und Deutsche Telekom teilgenommen hat. Das war
1993. Mein
Traum, in Deutschland zu leben, wurde während dieses Aufenthalts
geboren. Nach
dem erfolgreichen Abschluss des Praktikums bin ich nach Bulgarien
zurückgekehrt
und habe angefangen intensiv Deutsch zu lernen. Nachts habe ich in
einem
Krankenhaus als Pfleger gearbeitet und tagsüber habe ich Deutsch
gelernt.
Während dieser Zeit musste ich im Leben viel einstecken – der
Kampf, einen
Herzenstraum zu verwirklichen, hatte bereits begonnen. Das Risiko, dass
es mit
der Rückkehr nach Deutschland nicht klappen würde, war einfach sehr
groß;
Bulgarien war nicht in der EU, Europa war längst nicht so weit wie
heute, alles
war gegen meinen Traum. Nur ich nicht! Weil die Deutschkurse sehr teuer
waren, musste
ich sämtliches Kleingeld sparen, wenig essen und in einer Abstellkamer
für
Putzfrauen ohne Toilette in einem Studentenwohnheim in Sofia wohnen.
Und das
alles nur mit dem Ziel, meinem Traum immer näher zu kommen. Nach acht
Monaten
hatte ich es endlich geschafft und die Prüfung meiner Deutschkenntnisse
am
Goethe-Institut in Sofia erfolgreich bestanden. Danach habe ich fast
drei
Monate lang auf die Antwort der Fachhochschule in Dieburg/Deutschland
gewartet,
bis endlich Ende 1994 die positive Antwort kam – ich durfte in
Deutschland
sechs Semester studieren, und während dieser Zeit bekam ich noch ein
Stipendium
aufgrund meiner überzeugenden Leistungen an der Universität in
Bulgarien (ich hatte
die besten Noten) und meines Praktikums in Weiden.
Das
war eine
Freude, ich konnte weinen vor Glück. Bis zu diesem Moment habe ich
alles, was
ich besaß, Materielles und Geistiges, voller Hingabe auf eine Karte
gesetzt –
Deutschland. Ich wusste, dass – wenn ich verliere – ich alles
verlieren
würde. Doch wenn ich es schaffen sollte, würde ich neue Horizonte in
meinem
Leben schaffen. Und das geschah tatsächlich. Im September 1994 bin ich
nach
Deutschland gekommen, und drei Monate später bestand ich erfolgreich
meine
erste Klausur an der FH in Dieburg. Alle meine neuen Bekannten waren
DEUTSCHE.
Ich habe 24 Stunden täglich Deutsch gesprochen, ich war stolz hier zu
sein,
gemeinsam mit meinen deutschen Kommilitonen an einem Tisch zu sitzen,
die
schwierigen Aufgaben des Studiums zu lösen und abends gemeinsam etwas
essen und
trinken zu können und einfach den Alltag in einem neuen Land zu
meistern, mich
anzupassen, die positiven Erfahrungen aus Bulgarien mit den neuen in
Deutschland zu kombinieren, den schlechten aus dem Weg zu gehen und ein
besseres Leben zu führen. Das war die eine Seite der Medaille. Die
Politik, die
Ausländerbehörden und die Gesetze waren die andere. Ich musste mehrmals
im Jahr
bei der Ausländerbehörde alles immer und immer wieder nachweisen, eine
Aufenthaltserlaubnis
beantragen und mit Herzklopfen die Antwort abwarten – „to be or
not to
be?“
Ich
habe –
wie vorgeschrieben – innerhalb von sechs Semestern komplett ein
neues
Dipl.-Ing.-Studium an der FH Dieburg mit der Gesamtnote 1,7 absolviert,
ohne
eine Prüfung nachzuschreiben. Während dieser Zeit habe ich feste und
neue
Freundschaften mit den Deutschen geknüpft. Diese Freundschaften waren
ein
Beweis für mich, dass ich ein Teil der Menschen hier bin, dass ich als
Mensch
mit seinen Stärken und Schwächen voll akzeptiert bin, gemeinsam durch
das Leben
mit diesen Menschen gegangen bin und sowohl im Guten als auch im
Schlechten an ihrer
Seite geblieben bin. Das war mein Zuhause, nicht mein bulgarischer
Pass, nicht
mein Name, der etwas anders klingt als ein typisch deutscher Name,
sondern das,
was in mir steckte.
Mein
Praktiksemester habe ich bei der Deutschen Telekom-Generaldirektion in
Bonn absolviert,
und schon während ich meine Diplomarbeit geschrieben habe, war mir eine
Arbeitsstelle in Darmstadt sicher. Besser, dachte ich, kann es nicht
laufen ...
ABER, dann kamen die ersten Enttäuschungen. Ich musste eine neue
Aufenthalts-
und Arbeitserlaubnis beantragen, da mein Studium zu Ende war. 3 Monate
mal 24
Stunden mal 60 Minuten habe ich gewartet, gehofft, alles getan, um die
Behörden
und die Politiker zu überzeugen, dass ich es möchte, dass die Menschen,
mit
denen ich zu tun habe und hatte, die Freunde und auch der Arbeitgeber
gerne
wollen, dass ich hier bleibe und alles weiter aufbaue, was ich
innerhalb von
drei Jahren während des Studiums schon aufgebaut habe. Und dann kam die
Entscheidung
der Behörden, unabhängig von all dem, was dafür sprach. Es war ein
klares
„NEIN“. Sie dürfen nicht, Sie kommen aus Bulgarien und das geht nicht…
Ich
musste
meinen Koffer packen, mich täglich und stündlich von meinen Freunden
verabschieden mit dem Gedanken, dass ich sie vielleicht nie mehr sehen
werde. Ich
habe viel geweint, vielleicht sogar mehr denn als kleiner Junge. Da war
eine
unbeschreibliche Trauer, Wut, Enttäuschung und Ohnmacht gegenüber dem
Unsinnigen,
gegenüber einer Mauer, die unabhängig davon, was ich in dem Land
erreicht habe,
nicht zu überwinden war.
Ich
musste
ausreisen. Hatte ich die Möglichkeit hier illegal zu bleiben?
„Ja“ – hätte
ich gehabt, lautet meine Antwort; aber das wollte ich nicht. Ich wollte
als
Fachkraft, als Dipl.-Ing., meinen Job weiter ausführen. Die Deutsche
Telekom
hat zig Briefe mit Beweisen für meine Kenntnisse und den Sinn meiner
Eistellung
an die Behörden geschrieben und alles getan, was in ihrer Macht stand.
Leider ohne
Erfolg.
Am
06.12.1997 um 02.00 Uhr bin ich mit dem Bus in Bulgarien
angekommen.
Obdachlos bin ich durch die Straßen von Sofia gelaufen. Ich stamme aus
einer
Familie geschiedener Eltern, und meine Mutter ist invalide. Ich brachte
es
nicht übers Herz, bei Ihr aufzutauchen und wie ein kleines Kind zu
erwarten, dass
sie sich wieder um mich kümmert. Während meines Studiums in Deutschland
habe
ich sämtliche Freundschaften in Bulgarien verloren, dafür aber in
Deutschland wahre
aufgebaut, die ich nach der Ausreise 2000 km weit hinter mir
lassen musste.
Ich war quasi ein Ausländer in Bulgarien – ein Fremder. Ich habe
monatelang auf der Straße gelebt, habe mich aus Mülltonnen ernährt,
habe abends
entweder auf dem Hauptbahnhof übernachtet oder bin in die Berge
gegangen, weit weg
von allem. Ich habe immer noch auf Deutsch gedacht und geträumt.
Morgens nach dem
Aufwachen musste ich immer und immer wieder erst einmal begreifen, wo
ich
eigentlich bin – physikalisch, aber nicht seelisch. Es war die
härteste Zeit
meines Lebens. Es hat lange gedauert, bis ich auch dort neue Freunde
gefunden
habe, die mir geholfen haben, ein Dach über dem Kopf zu finden. Nach
knapp zwei
Jahren, Ende 2000, wurde vom damaligen Kanzler Schröder das „Green
Card“-Gesetz
ins Leben gerufen. Meine Freunde in Deutschland haben für mich
Vorstellungsgespräche in Deutschland organisiert. Nach dem Verkauf
meiner
Bergausrüstung konnte ich mir ein Ticket und ein Visum für eine Woche
nach
Deutschland besorgen, um mich bei den Arbeitgebern vorzustellen. Nach
einer
Woche hatte ich schon drei Verträge in der Tasche und bin wieder nach
Bulgarien
zurückgekehrt, um die Dokumente dort bei der Deutschen Bootschaft
einzureichen.
Nach drei Wochen kam wieder eine Absage der Ausländerbehörde – das
Gesetz
war noch nicht in Kraft. Zwei Wochen später habe ich erneut die
Dokumenten
eingereicht, einen Tag nachdem das Gesetz endlich in Kraft getreten
war; und da
kam die Zusage! So dicht liegen Freud und Leid beieinander. Ich war
wieder
hier, wieder in Deutschland, meiner Heimat. Eine Heimat, die ich mir
schwer
erkämpft habe. Mit einer Tasche voller Klamotten und mit freudigem
Herzen bin
ich Ende 2000 zurückgekommen.
Ich
war der
ersten Green Card-Besitzer in Frankfurt und Umgebung. Seitdem arbeite
ich bei
Controlware GmbH in Dietzenbach als System Ingenieur. Alle meine
deutschen
Freunde sind wieder für mich da und ich bin auch für sie da. Neue sind
hinzugekommen.
Die Angst war aber immer noch da, die Angst vor der Wiederausreise, der
Niederlage,
denn das Gesetz war auf fünf Jahre begrenzt und an die
Aufenthaltserlaubnis gebunden.
Anfang bis Mitte 2005 musste ich mir selbst alle neu hinzugekommenen
Gesetze aneignen
und mich zig Mal den Fragen der Ausländerbehörde stellen. Leider waren
die
Mitarbeiter dort entweder sehr unfreundlich oder kannten die Gesetze
noch nicht
und wussten sie nicht umzusetzen. Das war natürlich sehr frustrierend
und trotz
meines Status als Dipl.-Ing. war es sehr traurig, immer wieder gegen
eine Wand
zu laufen – die Wand der Bürokratie.
Etwa
Mitte 2005
habe ich einen sehr netten Menschen beim Ausländeramt in Frankfurt
kennengelernt, der wirklich nicht nur nett war, sondern mich auch bis
zum
Erhalt einer unbefristeten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis perfekt
betreut
hat. Damit er für mich zuständig wurde, musste ich meinen Hauptwohnsitz
von
Dietzenbach nach Frankfurt verlegen. Ich habe selbst die Begründung
laut allen
Paragraphen des Ausländergesetzes geschrieben und beim Ausländeramt mit
allen
Unterlagen abgegeben. Da erreichte mich die schönste E-Mail meines
Lebens:
„Sehr
geehrter Herr
Kostadinov,
ES
Ausländerbehörde
Frankfurt am Main“
Wenn
die
Politik, die Menschen, die sich als Politiker präsentieren, einmal über
die
normalen Straßen des Alltags liefen und nicht alles durch die Fenster
eines
gepanzerten Autos betrachteten, bin ich mir sicher, dass sie für ein
besseres
Zusammensein sorgen würden, mit mehr Verstand und positivem Denken.
Alle sollten
die gleichen Rechte und Pflichten gegenüber sich selbst, ihren
Familien, ihren
Freunden und der Gesellschaft haben. Denn wir sind alle gleich, wir
sind
geboren, wir leben jetzt und wir werden auch alle irgendwann sterben.
Wichtig
ist, was wir hinterlassen werden. Ich würde sagen, hinterlassen wir
doch etwas
Gutes.
Emil Bergmann,
Dreieich /Deutschland, 2017